Donnerstag, März 28, 2024
StartWorkbaseNew Work – wie sich Grown Ups auf dem Arbeitsmarkt positionieren

New Work – wie sich Grown Ups auf dem Arbeitsmarkt positionieren

Die Digitalisierung schreitet in allen Bereichen der Wirtschaft voran. Junge Menschen sehen ihre Zukunft in diesem Arbeitsfeld und suchen „digitale“ Berufsfelder. Warum ist es dennoch so schwer, gute Mitarbeiter zu gewinnen?

Ganz einfach: Die Nachfrage seitens der Unternehmen ist deutlich höher als die Anzahl geeigneter Bewerber*innen. Das gilt besonders für hochqualifizierte und spezialisierte IT-Expert*innen und Developer*innen. Diese können sich aus vielen Angeboten das für sie attraktivste aussuchen. Der Begriff „War for Talents“ ist tatsächlich täglich gelebte Realität und nicht bloß ein gern zitiertes Buzzword. Wenn wir bei der Mitarbeiter*innensuche Erfolg haben wollen, muss uns schon mehr einfallen als Gehalt, Schreibtisch, Rechner und vielleicht noch das obligatorische „Freitags-Bier“. 

Welche Herausforderungen sehen Sie gegenwärtig auf dem Arbeitsmarkt?

Neben dem Recruiting geht es vor allem auch darum, als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben und die Talente langfristig ans Unternehmen zu binden. Die Ansprüche der Mitarbeiter*innen sind gewachsen und damit auch die Wechselbereitschaft. Vor allem aufstrebende Talente haben nicht das Ziel, ein ganzes Arbeitsleben bei einer Firma zu verbringen. Junge Menschen kommen freiwillig in ein Unternehmen und in der Regel nur auf Zeit. Eine Studie von LinkedIn hat ergeben, dass bei IT-Entwicklern eine jährliche Wechselbereitschaft von 25 Prozent besteht. Theoretisch kann es also passieren, dass wir jedes Jahr ein Viertel der IT-Belegschaft ersetzen müssen. Das hieße für Architrave rund 25 Neuanstellungen inklusive Onboarding und Einarbeitung. Da bräuchte ich definitiv noch ein paar mehr Mitarbeiter*innen in unserem People & Culture Team (lacht).

Haben die Unternehmen dann überhaupt noch eine Planungssicherheit?

Ja, aber dafür müssen wir uns gehörig ins Zeug legen. Ganz wichtig: Geld ist nicht alles! Neben der Bezahlung sind in erster Linie die Themen Verantwortung, persönliches Wachstum und spannende Aufgabenbereiche für die Mitarbeiterbindung entscheidend. Das heißt im Umkehrschluss: Management und Team-Leiter*innen müssen Verantwortung abgeben können. Ein guter Weg dorthin sind cross-funktionale Teams, bei dem relativ kleine, agile Einheiten kollektiv Produktverantwortung übernehmen. So wird gemeinsam am „großen Ganzen“ gearbeitet und nicht an ‚von oben‘ vorgegebenen Meilensteinen.

Der Ansatz stärkt außerdem das „Wir-Gefühl“ bei den Mitarbeitern*innen. Mit zusätzlich flachen Hierarchien, einem zugänglichen Management und Kommunikation auf Augenhöhe ist dann die Grundlage geschaffen für beidseitige Loyalität und eine Belegschaft, die sich mit den Unternehmenszielen identifiziert. Außerdem ist der möglichst frühe Buy-in der Belegschaft wahnsinnig wichtig. Nur, wenn alle wissen, warum was gemacht werden soll, lässt sich ein hoher Grad von Identifikation mit dem Produkt und damit einhergehend ein hohes Maß an Motivation und Ownership erreichen. Damit wächst natürlich gleichzeitig das Gefühl, Mitglied in einer großen Familie zu sein.

Wie füllt man eine Unternehmenskultur mit Leben?

Das hängt sicherlich stark vom Unternehmen, seinem Selbstverständnis und seinen Werten ab. Gemeinsame Mahlzeiten, Sportrunden, Musik oder Humor bilden in den meisten Unternehmen Anknüpfungspunkte. Wichtig sind feste Rituale oder Termine. Die Tischtennisrunde am Nachmittag, die Kochgemeinschaft zum Lunch, das monatliche Game-Event… Außerdem muss das Management bereit sein, dem Team Raum, Zeit und Budget zur Entwicklung dieser Aktivitäten bereitzustellen. Nichts ist langweiliger und im Zweifel peinlicher als ein „von oben“ verschriebenes Gruppenerlebnis. Wir haben in den letzten Jahren erleben dürfen, dass unsere Mitarbeiter*innen viele Initiativen von sich aus ins Leben gerufen haben – in einem ‚wachen‘ Unternehmen bleibt so etwas natürlich nicht unbemerkt vom Management. Daher unterstützen wir derartiges Engagement frühzeitig – und manchmal auch retrospektiv, wenn wir feststellen, dass es sich förderlich auf die Kultur auswirkt. 

Welchen Einfluss hat das Büroambiente?

Die Arbeitsatmosphäre ist von zentraler Bedeutung. Dabei geht es nicht nur um Ambiente, sondern um ein gesundes, kommunikatives und flexibles Umfeld, in dem sich die Mitarbeiter*innen wohlfühlen und unter optimalen Bedingungen arbeiten. Unsere flachen Hierarchien spiegeln sich auch in unserer „Sitzordnung“ wider. Geschäftsführung und Management arbeiten nicht im stillen Kämmerlein, sondern finden ihren Platz inmitten der anderen Teammitglieder. Ein weiterer entscheidender Pluspunkt ist unsere zentrale Eventfläche, die auf unterschiedlichste Weise bespielt werden kann. Großzügig bemessen dient der Raum bewusst als Forum für den Austausch während und nach der Arbeitszeit – mit potenziellen Kunden, Dienstleistern oder befreundeten Unternehmen und natürlich unter den Kolleg*innen. Hier finden regelmäßig Meet-ups, Kinoabende, Konferenzen, Tischtennisturniere oder das spontane (wahlweise alkoholfreie) Feierabendbier statt.

Müssen sich Unternehmen stärker um den einzelnen Mitarbeiter kümmern?

Definitiv, ja. Aber dass Sie die Frage stellen, zeigt eben die Crux in vielen Unternehmen auf. Sollte es nicht eigentlich selbstverständlich sein, dass Mitarbeiter*innen im Mittelpunkt der unternehmerischen Planungen stehen? Wertschätzung ist ein ganz großes Thema und ausschlaggebend für das „persönliche Klima“. Mitarbeiter*innen müssen das Gefühl haben, dass ihre individuellen Bedürfnisse keine Probleme im Arbeitsalltag darstellen, sondern ernst genommen werden und eine gelebte Work-Life-Balance ein integraler Bestandteil des Arbeitsverhältnisses ist. Dazu gehört beispielsweise, dass ausländische Mitarbeiter*innen bei administrativen Behördengängen nicht allein gelassen werden. Die Bezahlung eines Deutschkurses ist ebenso selbstverständlich. Wohlgemerkt: Deutsch ist keine notwendige Bedingung, unsere Unternehmenssprache ist Englisch. Aber wir sind davon überzeugt, dass die deutsche Sprache doch eine wesentliche Integrationshilfe für das Leben in Berlin darstellt. Wir finden, dass individuell geschnürte Pakete für unsere Mitarbeiter*innen einen fundamentalen Baustein in der Toolbox für eine glückliche Belegschaft darstellen. Klar, dass ist schwer skalierbar, aber die Mühe lohnt sich!

Welche Möglichkeiten gibt es noch, um die Wertschätzung auszudrücken?

Kleinigkeiten wie eine gut sichtbare Fotogalerie mit allen Mitarbeitern*innen schaffen ein Identitätsgefühl. Sie betonen den individuellen Wert, den jedes Teammitglied in das Unternehmen einbringt. Die Mitarbeiter*innen dürfen sich nicht in der Rolle als Weisungsempfänger sehen, sondern müssen die Möglichkeit haben, ihre Position durch hohe Eigenverantwortung mit Leben zu füllen. Dazu gehört dann auch eine gelebte Fehler- und Feedbackkultur. Richtig großen Zuspruch finden interne Fortbildungen, bei denen Mitarbeiter*innen gegenseitig voneinander lernen. Bei Architrave ist das Expertenwissen und der Erfahrungsschatz jeder und jedes Einzelnen sehr groß. Wir sorgen daher dafür, dass dieses Wissen im ganzen Team geteilt wird. Im Tech-Team haben wir den monatlichen Experience Day etabliert. Ein Tag lang wird an Aufgaben gearbeitet, die originär nichts mit dem Unternehmen oder den Produkten zu tun haben. Die freie Themenwahl führt zu erstaunlichen Ergebnissen und vor allem auch zu einem noch stärkeren Zusammenhalt. 

Früher galten Familienfreundlichkeit und Work-Life-Balance als rein weiche Entscheidungsfaktoren. Hat sich das geändert?

Eindeutig ja. Gerade junge Arbeitnehmer*innen definieren sich nicht mehr über Statussymbole wie hohe Gehälter oder einen Firmenwagen. Eine vergleichsweise kurze Kernarbeitszeit zwischen 10:00 und 15:00 Uhr bietet großen Spielraum, Beruf und Freizeit in Einklang zu bringen. Einer Schnittstellenlösung ist es schließlich egal, ob sie vormittags im Büro oder um Mitternacht auf der heimischen Couch programmiert wird. Teilzeit-Konzepte sind kein Problem, sondern Normalität. In Vorstellungsgesprächen merke ich immer wieder, dass Flexibilität vor allem bei Frauen ein relevanter Punkt ist. Eine flexible Ort- und Zeitplanung trägt bei Architrave nachweislich dazu bei, die Frauenquote in der sonst stark männerdominierten Tech-Branche signifikant zu erhöhen. Unser Frauenanteil beträgt mehr als 40 Prozent – inklusive der Führungsebene. 

Frau Dr. Seebach, wir bedanken uns für das Gespräch.

Gerne, aber bitte den Dr. und das Sie weglassen – das ist oft das erste, was ich im Gespräch mit Bewerber*innen sage (lacht).

Expertin: Dr. Anne Seebach, Head of People & Culture beim Berliner PropTech-Unternehmen Architrave

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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