Dienstag, März 19, 2024
StartWorkbaseKundenfokus und Kundenbindung über mehrere Wertschöpfungsstufen

Kundenfokus und Kundenbindung über mehrere Wertschöpfungsstufen

Innovative Ideen für Produkte und Services sind in aller Munde und der Nährstoff für Start-ups. Der Ursprung der Innovationen ist dabei sehr unterschiedlich. 

So gibt es Unternehmer mit Zukunftsvisionen, die überzeugt sind, dass andere diese auch attraktiv finden. Darauf aufbauend werden Produkte und Dienstleistungen entwickelt und verkauft. Eine andere Herangehensweise ist das Zuhören und Hineindenken in Menschen, die mit den bestehenden Problemlösungen nicht zufrieden sind oder nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten. Hier kann ein Paradigmenwechsel oder eine neue Methodik zu wesentlich mehr Zufriedenheit und Begeisterung führen.

Auch in diesem Falle eröffnet sich ein Markt für Innovationen und es gilt die Frage zu klären: Wie binde ich meinen Kunden?

Generell erwartet der Kunde von Innovationen einen Vorteil, d. h., sie bieten ihm einen Mehrwert. Für diesen Wertbeitrag ist er letztlich auch bereit, einen gewissen Preis zu bezahlen.

Kundenfokus und Kundenbindung in Kombination mit dem Wertbeitrag für den Kunden sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren für ein Start-up. Hier eine schlüssige und überzeugende Marktpositionierung zu haben, ist auch Bedingung für eine Unternehmensfinanzierung. Zur Gestaltung einer strategischen Wettbewerbspositionierung mit Kundenfokus kann das von Dean Wilde und Arnoldo Hax in den 1990er Jahren am MIT entwickelte Delta-Modell verwendet werden.

Das Delta-Modell unterscheidet drei grundlegende Wettbewerbsstrategien:

  • produktorientierte Strategien (Best Product)
  • kundenlösungsorientierte Strategien (Total Customer Solutions)
  • systemorientierte Strategien (System Lock-in)

Die Ecke „Best Product“ wird von vielen Unternehmen angestrebt. Hier kann jedoch nur erfolgreich sein, wer Technologie- und Kostenführerschaft hat und agil ist. Schnelligkeit ist für den Markterfolg überlebenswichtig. Die erreichte Kundenbindung ist jedoch gering. Da es nämlich viele Marktteilnehmer und einen starken Wettbewerb gibt, wollen die Kunden flexibel bleiben und gehen keine mittel- oder gar langfristige Bindung ein. Auch liegt die zu erreichende Profitabilität, gemessen an der Umsatzrendite, oft nur im einstelligen Prozentbereich.

Bei „Total Customer Solutions“ ist der Wertbeitrag für den Kunden ungleich höher, geht es doch darum, dem Kunden das Leben einfacher und ihn erfolgreicher zu machen. Hier geht es über das angestammte Produkt- und Service-Portfolio eines Lieferanten hinaus. Zusammen mit weiteren Wertschöpfungspartnern wird über innovative Lösungen die Wettbewerbsposition des direkten Kunden erheblich gesteigert, sodass dieser bereit ist, für seinen Vorteil einen höheren Preis zu zahlen. Er wird dies so lange tun, bis es einem Wettbewerber gelingt, zu gleichen Kosten noch mehr Wertbeitrag zu bieten. Der Wettbewerb findet hier um den Kundennutzen statt. Diese Strategie erfordert Kooperationsfähigkeit mit weiteren Wertschöpfungspartnern. Aber es lohnt sich: Erfahrungsgemäß entsteht dabei eine Kundenbindung über mehrere Jahre und die Umsatzrendite liegt oft im zweistelligen Prozentbereich. 

Eine Kundenbindung über ein bis zwei Produktgenerationen oder 10+ Jahre bringt die Strategie „System Lock-in“.

Hier sind die Anforderungen an den Kundennutzen deutlich höher als bei „Total Customer Solution“. Die vollständige Integration in die Wertschöpfungskette des Kunden schaffen nur wenige Unternehmen, die dafür aber mit einer Umsatzrendite von mind. 20 % reichlich belohnt werden.

Das Delta-Modell lässt sich auch auf Digitalisierung anwenden. Daher ist es für ein Start-up hilfreich, die angestrebte Wettbewerbsposition zu visualisieren und sich zu fragen, wie allein oder zusammen mit anderen der Wertbeitrag für den Kunden erhöht werden kann (Kundenfokus), um das eigene Unternehmen möglichst unersetzlich zu machen (Kundenbindung). 

Um den Kundenfokus und die Kundenbindung noch zu steigern, wird die Betrachtung um eine Wertschöpfungsstufe erweitert: Man denkt in der Rolle des Kunden über einen Wertbeitrag für dessen Kunden nach. Das Ziel ist, so einzigartig und wertstiftend zu sein, dass der direkte Kunde noch wettbewerbsfähiger wird. Kann dieser seine Wettbewerbsposition verbessern und höhere Umsätze bei seinen Kunden generieren, wird er seinen Lieferanten, der das möglich gemacht hat, dafür entlohnen.

Der gleiche Gedankengang kann auch noch auf eine weitere Wertschöpfungsstufe angewandt werden, nämlich für den Kunden des Kunden des direkten Kunden. Dieser Ansatz wird als „kundenfokussiertes Mehrwertsystem“ bezeichnet und ist eine intelligente Antwort auf den zunehmenden Wettbewerbsdruck, verlangt jedoch komplexes und innovatives Denken sowie Offenheit für weitere Wertschöpfungspartner.

Ein Beispiel:

Ein Tier-1-Lieferant in der Windindustrie hat die Wertschöpfungskette über drei Stufen analysiert, vom Tier 1 zum Wind-OEM zum Windparkbetreiber bis zum Windparkinvestor. Jede Rolle hatte dabei eigene Prioritäten. Pro Wertschöpfungsstufe wurden mögliche Wertbeiträge definiert und deren Nutzen für den jeweiligen Kunden abgeschätzt. Um die Wertbeiträge zu erzielen, mussten neue Funktionalitäten bzw. Servicepakete definiert werden. War erkennbar, dass sich diese in der Wertschöpfungskette nicht rechnen, wurden sie auch nicht weiterverfolgt. Im anderen Fall wurden sie entwickelt und profitabel als Optionspakete verkauft. 

Kundenfokus und Kundenbindung über mehrere Wertschöpfungsstufen für sich zu nutzen, setzt ein tiefes Verständnis der Wertschöpfungskette bzw. des Wertschöpfungsnetzwerkes voraus, hilft jedoch, sich strategisch vom Wettbewerb abzuheben.

Gerade Start-ups mit beschränkten Ressourcen können sich nicht beliebig viele Fehlentwicklungen leisten. Die Begeisterung des Innovators für seine Idee sollte sich mit kundenfokussierten Mehrwertsystemen beweisen. Dadurch wird nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit erreicht. Ein paar „Pilotkunden“ für die Lernkurve und die Abschätzung des jeweiligen Nutzens unterstützen die Kommerzialisierung der Innovation und vermindern das unternehmerische Risiko.

Diese gedankliche Übung sollte regelmäßig wiederholt werden, denn die hochdynamische Umgebung am zunehmend digitalen Markt von heute verlangt von allen Beteiligten immer wieder neue Antworten.

Buchtipp: „Digital Insights – Digitalisierung: 7 Sichtweisen aus der Praxis“

Weiterführende Informationen zum Thema und zum Autor Eberhard Müller finden sich im Buch „Digital Insights – Digitalisierung: 7 Sichtweisen aus der Praxis“, in dem sieben erfolgreiche Interim Manager direkt aus der Praxis berichten und Megatrends, technische Innovationen sowie unternehmerische, prozessuale, ethische, gesellschaftliche und globale Fragen beleuchten. „Digital Insights – Digitalisierung: 7 Sichtweisen aus der Praxis“ ist im Best Practice Verlag erschienen und kostet 39,90 Euro. Weitere Informationen: https://bestpractice-media.de/digital-insights-digitalisierung-7-sichtweisen-aus-der-praxis

Dr.-Ing. Eberhard Müller

Eberhard Müller ist Executive Interim Manager mit internationaler Erfahrung bei mittelständischen Global Playern und Konzernen aus Automobilindustrie, Maschinenbau, Elektrotechnik, Energiewirtschaft, Prozessindustrie sowie der Gesundheitsbranche und dem Handel. Er übernimmt Tätigkeiten als CEO, CRO, CPO, CDO und Projektleiter für Change- und Growth-Anlässe im internationalen Umfeld. Als Wegbereiter, Vertrauter und Transformator gestaltet er Veränderungen im General Management sowie im Einkauf, Supply Chain Management und in der Logistik. 

www.dr-mueller-interim.de

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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