Samstag, April 20, 2024
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Nie entmutigen lassen und immer eng an der Zielgruppe arbeiten

Integreat: Der mobile Alltagsguide für Geflüchtete

Stellen Sie sich und das Startup Integreat doch kurz unseren Lesern vor!
Allein 2015 und 2016 wurden fast 1 Millionen Asylanträge in Deutschland gestellt – viele der Neuzugewanderten sind nun in die Kommunen weiterverteilt worden und müssen dort Fuß fassen. Genau hier kommen wir mit unserer App Integreat ins Spiel, die es Behörden und Organisationen ermöglicht mehrsprachig (auch z.B. auf Arabisch und Farsi) und ohne großes IT-Know-how vor allem die lokalen Informationen und Angebote an die Zielgruppe zu bringen.

Wie ist die Idee zu Integreat entstanden?
Die generelle Idee ist nicht ganz neu: Eine Art Alltagsguide, der lokalspezifische bzw. wir sagen auch gerne nicht-„googlebare“ Informationen zugänglich macht. In der Region Augsburg wurde 1997 ein ebensolcher Alltagshelfer in Form einer Broschüre veröffentlicht, ebenfalls mehrsprachig und für die Zielgruppe der Geflüchteten, die Mitte der 90er nach Deutschland kamen. Anfang 2015 haben wir mit der Digitalisierung der fast 20 Jahre alten Augsburger Broschüre angefangen und eine IT-Lösung gebaut, die diese Aufgaben übernimmt. Mittlerweile arbeiten wir mit 26 Städten und Landkreisen zusammen und unterstützen diese beim Aufbau eines nachhaltigen digitalen Serviceökosystems für die Integration vor Ort.

Welche Vision steckt dahinter?
Fluchtbewegungen werden uns vermutlich auch die nächsten Jahrzehnte noch begleiten. Egal ob durch Konflikte oder Krieg wie es 2015 war oder bald vielleicht auch durch Klimaveränderungen. Wir haben festgestellt, dass es eine Reihe von sehr wichtigen lokalen Informationen gibt, die meist nur in den Köpfen von einzelnen Mitarbeitern abgespeichert sind, weil es nicht die geeignete Plattform gibt, um diese Informationen zu verschriftlichen. Wie man an als Flüchtling z.B. an eine Facharztüberweisung kommt, unterscheidet sich von Stadt zu Stadt. Tipps zu Sozialwohnungen vor Ort, Anträge für kostenlose Mittagessen in der Schule oder kostenlose Freizeitangebote, sind natürlich auch für alle anderen Bürger interessant, die gerade erst zugezogen sind oder schon länger vor Ort leben. Unsere Vision ist es die Kommunikation und Informationsflüsse gerade im interkulturellen Kontext mit Hilfe von Digitalisierung zu vereinfachen und transparenter zu machen

Von der Idee bis zum Start was waren bis jetzt die größten Herausforderungen und wie haben Sie sich finanziert?
Ich fange gerne mal mit der zweiten Frage an, die für alle Sozialunternehmen natürlich auch eine zentrale Rolle spielt. Da wir ein Startup der TU München sind, war natürlich auch die Finanzierung durch EXIST oder ähnliche Programme Diskussionsthema bei uns. Wir hatten allerdings das große Glück, dass es 2015 speziell für Projekte im Flüchtlingsbereich bestimmte Töpfe gab, die wir für uns nutzen konnten. Im ersten Jahr haben wir uns natürlich fast komplett ehrenamtlich und neben dem Studium auf das Startup konzentriert, parallel aber bereits ein Geschäftsmodell in Form eines Abomodells für die Kommunen implementieren können. Mittlerweile stammen 35-40% unserer Einnahmen aus eigenen Umsätzen, 55%-65% aus Fördertöpfen. Unser Ziel ist es im nächsten Jahr bei einer paritätischen Finanzierung zu landen, die wir dann auch langfristig so halten wollen.

Die größten Herausforderungen bei uns? 2015 war natürlich ein bewegtes Jahr mit vielen Initiativen in dem Bereich, daher war es oft schwer für uns aus der Menge herauszustechen. Wir haben dann gezielt Marketing in Fachmagazinen für eGovernment betrieben und die App gemeinsam mit der Zielgruppe ständig weiterentwickelt. Retrospektiv haben wir vermutlich auf der Organisationsebene die richtigen Entscheidungen getroffen, aber vor allem einige technologische Dinge würden wir heute vermutlich anders machen.

Wer ist die Zielgruppe von Integreat?
Letztendlich haben wir eine indirekte und eine direkte Zielgruppe. Unsere direkte Zielgruppe sind Gebietskörperschaften, wie Städte oder Landkreise, die unsere Lösung nutzen, um ihre Informationen vor Ort bereitzustellen. Von uns selbst kommt dabei „nur“ die Technologie und Beratungsleistung in Form von Best Practice-Weitergabe oder Unterstützung bei Einführung und Betrieb. Die Inhalte selbst werden von den Gebietskörperschaften und Partner vor Ort erarbeitet, die auch das Wissen haben. Indirekte Zielgruppe und vermutlich auch einer der Motivationsfaktoren in der tagtäglichen Arbeit sind die Bürgerinnen und Bürger – egal ob mit oder ohne Flucht- oder Migrationshintergrund -, die neu in eine Stadt kommen und erste Informationen eventuell auch in ihrer Muttersprache abrufen wollen.

Wie funktioniert Integreat?
Wir stellen eine mandantenfähige Plattform in Cloud bereit, die auf einem relativ simplen CMS-System basiert. Über diese Webplattform pflegen die städtischen Verantwortlichen die Struktur und Inhalte, können Übersetzungen verwalten und aktualisieren. Über eine selbst entwickelte Schnittstelle werden die Daten aus dem CMS dann an unsere Smartphone-App übertragen, die die Informationen ebenfalls offline speichert, denn viele Neuzugewanderte haben nicht direkt ein mobiles Datennetz in der Hinterhand. Wir wurden oft gefragt, warum dafür nicht eine Webseite ausreicht und das ist definitiv einer der Gründe. Außerdem können die Städte über die App auch Push-Nachrichten verschicken und natürlich ist es irgendwo auch ein bisschen „innovativer“ für den Bürgermeister oder Landrat eine eigene App vorzustellen. Letztendlich überwiegen aber die funktionalen Aspekte und eine Webseite gibt’s automatisch obendrein – denn nur so sind die Inhalte auch über Google indiziert und auffindbar.

Welche Vorteile bietet Integreat?
Für die Gebietskörperschaften überwiegen vor allem die Faktoren der einfachen Bedienung, das eingebaute Übersetzungsmanagement und die schnelle Go-Live-Zeit von nur 16-20 Wochen ab Kick-Off. Für die Zielgruppe der Neuzugewanderten ist Integreat ein Alltagshelfer in Muttersprache, der meist auch mit dem ersten Beratungstermin auf dem Smartphones des Ratsuchenden landet. Im weiteren Verlauf der Integration bzw. des Einlebens, stellen wir dann auch weiterführende Informationen bereit, z.B. durch unsere Zusammenarbeit mit Industrie-, Handwerk- und Handelskammern, die ihre Jobdatenbanken für uns öffnen und wir dann an der entsprechenden Stelle in die App einspielen können.

Anekdote am Rande: Die IT-Abteilungen freuen sich in der Regel, wenn sie hören, dass die städtischen Webseiten nicht auch die Sprachen Arabisch oder Farsi, beide von rechts nach links, unterstützen müssen, sondern wir das übernehmen.

Integreat, wo geht der Weg hin? Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Am liebsten hätten wir natürlich unsere Geburtshelfermentalität weiter durchgezogen: Sich so schnell überflüssig machen wie es nur geht. Allerdings merken wir, vor welchen Herausforderungen die Verwaltungen in Deutschland stehen. Das Thema eGovernment kocht ja auch gerade an der ein oder anderen Stelle in der Öffentlichkeit wieder hoch. Wir sehen uns also zum einen als eine Art „Enabler für Digitalisierung“ in den städtischen Verwaltungen.

Den Satz „Wenn die Integrationsabteilung eine App machen kann, dann können die anderen Abteilungen das ja wohl auch“ hören wir nur zu gerne. Auch die Nutzungszahlen der App sprechen für sich, denn ca. 20-30% der Neuzugewanderten nutzen das Angebot im Durchschnitt. Das Wort Serviceökosystem hatte ich ja bereit einmal erwähnt und genau da soll der Weg auch in den nächsten 5 Jahre hingehen: Wir wollen der größte Anbieter für ein Informations-App im eGovernment-Bereich werden – zumindest im interkulturellen Kontext eine machbare Nummer.

Zum Schluss: Welche 3 Tipps würden Sie angehenden Gründern mit auf den Weg geben?
Wir erleben es oft, dass wir als Sozialunternehmen mit Vorurteilen zu kämpfen haben. Als gemeinnützige Rechtsform werden wir oft gar nicht nach einem Geschäftsmodell gefragt, weil alle davon ausgehen, dass man ja sicherlich von Spenden leben muss und auch der Geschäftsführer bestimmt kein Gehalt bekommt. Dem möchten wir natürlich klar eine Absage erteilen und auch andere Gründer ermutigen über eine mögliche Non-Profit-Gründung nachzudenken, denn nicht nur die Kostenseite kann erheblich eingedämmt werden, auch Gespräche mit Partner und Kunden sind deutlich angenehmer. Die einzigen Handicaps: Man muss sich als Unternehmen auf ein gemeinnütziges Themengebiet festlegen und kann natürlich auch den Gesellschaftern am Ende des Jahres nichts auszahlen – für Investoren also meist uninteressant.

Ein weiterer Tipp für angehende Gründer ist sicherlich für bestimmte Themen die richtigen Experten mit an einen Tisch zu holen, um das Unternehmensfundament sauber aufzubauen. Das fängt bei den klassischen Steuerthemen an, über Rechtsbeistand bei der Erstellung von Verträgen bis hin zu einer Art Advisory Board in der Unternehmensstruktur, das bei strategischen Entscheidungen unterstützen kann. Uns hat das gerade in der Frühphase sehr geholfen, denn die Themen hätten uns sonst zum Teil operativ verschlungen.

Ansonsten nie entmutigen lassen und immer eng an der Zielgruppe arbeiten, denn nur so können Unternehmensprozesse und die eigene Dienstleistung/das Produkt bestmöglich auf den Kunden abgestimmt werden.

Weitere Informationen finden Sie hier

Wir bedanken uns bei Janine Rosenbaum für das Interview

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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