Dienstag, April 23, 2024
StartWorkbaseDear Government… ein Gründer-Wunschzettel an die Regierung

Dear Government… ein Gründer-Wunschzettel an die Regierung

Gründen ist nie sonderlich einfach; Gründen in Deutschland ist sogar ziemlich schwierig. Doch der Hebel für Erleichterungen sitzt bei den Regierenden.

Die Soziale Marktwirtschaft lebt von mutigen Unternehmerinnen und Unternehmern. Sie verdienen gesellschaftliche Anerkennung und breite politische Unterstützung.

So formuliert es das Bundesministerium für Wirtschaft gleich zu Beginn seiner sogenannten Gemeinsamen Erklärung. „Breite politische Unterstützung“. Ein Punkt, dem wohl jeder von uns vorbehaltlos zustimmen würde. Denn ohne Support „von oben“ wird das sowieso bereits schwierige Unterfangen, ein brandneues Unternehmen am Markt zu etablieren, noch ein gutes Stück schwieriger.

Allerdings haben derartige Worte aus Regierungskreisen für viele von uns einen etwas schalen Nachgeschmack – schon zu oft mussten Selbstständige und Freelancer im Allgemeinen und Gründer im Speziellen feststellen, dass Deutschland es ihnen, wertneutral formuliert, nicht so einfach macht, wie es wünschenswert oder zumindest machbar wäre. 

Deutlich wird dies nicht zuletzt durch die regelmäßigen Erhebungen des Digitalverbandes Bitkom. Hier ein Auszug aus der Umfrage von 2019, der deutlich macht, was Gründer vom Weg, den die Bundesrepublik geht, halten:

  • Nur 7% glauben, dass Deutschland als Gründer-Standort in den kommenden Jahren zu China und den USA aufholen wird.
  • 80% sind der Ansicht, dass die deutsche Politik sich in Detailfragen verzettele und dadurch bei wichtigen Zukunftsthemen den Anschluss verlöre.
  • 78% glauben, dass die Startup-Szene für die hiesigen Politiker nur schmückend sei, diese aber kein Interesse an den speziellen Problemen von Gründern habe.
  • 8% sagen sogar, dass ein „deutscher Donald Trump“ für die Startup-Szene gut wäre.
  • In einer Bitkom-Studie von 2018 gab die Masse der Befragten den Regierenden für die 25 Einzelmaßnahmen des Koalitionsvertrages nur die Schulnote „ausreichend“. Besonders pikant: Nur 3% vergaben ein „Gut“, praktisch niemand ein „Sehr gut“.

Insgesamt 25 Maßnahmen zur Startup-Förderung haben Union und SPD im Koalitionsvertrag festgeschrieben (…) Von diesen sind jetzt zur Halbzeit nach zwei jahren zehn umgesetzt worden, neun sind teilweise umgesetzt, aber bei sechs ist immer noch nichts passiert.

Quelle Bitkom

Nun könnte man einwerfen, dass Bitkom nur Gründer aus der IT-Branche befragt und damit nur einen Teilbereich der Startup-Szene abdecken würde; allerdings ist es nicht so, als wenn diese losgelöst vom Rest zu betrachten wäre – praktisch keine Umfrage stellt Deutschlands Regierenden eine gute Note im Umgang mit ihren Startups aus; egal in welcher Branche diese arbeiten. 

Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele Wünsche, teils seit Jahren, unbeantwortet bleiben, nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt werden. Vor allem die folgenden:

Eine reibungslosere, einheitlichere Zusammenarbeit der Bundesländer

Deutschlands Föderalismus mit vielen Rechten der einzelnen Bundesländer wurde mit gutem Grund bereits bei der Gründung der Bundesrepublik im Grundgesetz verankert – und zwar mit einer Ewigkeitsklausel versehen, sodass sich daran niemals etwas ändern kann. 

Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt

Quelle: Grundgesetz, Artikel 30

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Dank starkem Föderalismus ist es deutlich schwieriger, dass abermals aus der Demokratie eine Diktatur erwächst, so wie es am Ende der Weimarer Republik geschah.

Doch so richtig und wichtig dieses Prinzip auch ist, es hat für Startups und generell Selbstständigkeit einfach enorme Nachteile. Es beginnt bei überflüssig vielen Ansprechpartnern und Zuständigkeiten. Es erstreckt sich über Fördermittel, die es im einen Bundesland in Höhe X gibt (oder auch nicht) und im anderen Bundesland in Höhe Y (oder auch nicht). Und es endet bei unterschiedlichen Gesetzgebungen noch längst nicht.

Ein sehr prägnantes unternehmerisches Beispiel für föderale Schwierigkeiten ist 

Quelle Stock.adobe.com Hero

die Situation rund um digitales Glücksspiel. Ein seit Jahren schwelender Streit der Bundesländer um einen Staatsvertrag. Bis Anfang 2020 war es jahrelang nur für Einwohner Schleswig-Holsteins legal, im Netz Glücksspiel zu betreiben – aber nur auf Seiten, die auch in diesem Land lizensiert waren. Zudem war der Markt geschlossen, trotz mehrerer EuGH-Urteile konnten Gründer diesen Markt nicht mit deutschen Lizenzen erobern. Für viele Föderalismus at it’s worst.

Natürlich, hierbei handelt es sich um ein Extrembeispiel. Aber die vielen kleineren Föderalismusprobleme treffen im Alltag praktisch jeden Gründer. Hier würden sich viele von uns wünschen, dass ohne Rücksicht auf die Parteizugehörigkeit der jeweiligen Landesregierung Einheitlichkeit für Gründer geschaffen wird – den Grundgedanken des Föderalismus würde es in keinster Weise beschädigen. 

Weitaus weniger Bürokratie

Wer in Deutschland ein Unternehmen gründen möchte, hat oft schon ein Dutzend Amtsgänge hinter sich, bevor er auch nur einen einzigen Cent an Umsatz generiert hat – für viele von uns erweist sich der Ritt auf dem Amtsschimmel auch als ein besonders gravierendes Problem.

Es ist eine Sache, dass auch bei Startups und kleinsten Unternehmen „alles seine Ordnung haben muss“. Allerdings ist der Weg zu dieser Ordnung in Deutschland oft unnötig steinig, ist nicht auf die Dynamik im Startup ausgerichtet. Es beginnt schon mit etwas, das im Jahr 2020 eigentlich kein Thema mehr sein sollte: Es gibt keine offizielle, von der Regierung betriebene Seite im Netz, die einheitlich alle Gewerbeämter auflistet – es gibt nur auf dem offiziellen Existenzgründerportal eine kleine Anleitung, was dort zu tun ist. Dass einige private Seitenbetreiber diese Lücke geschlossen haben ist zwar schön, ändert aber nichts an der Tatsache.

Digitale Gewerbeanmeldung? Abermals ein Flickenteppich zwischen den Bundesländern. Und selbst wo es geht, ohne handschriftliche Vor-Ort-Unterschrift funktioniert auch weiterhin nichts.

Und ganz gleich ob KfW-Kredit, Beantragung öffentlicher Mittel und Steuern oder der Zeitraum, der verstreicht, bis eine Umsatzsteuer-ID zugeteilt wurde, überall hemmt die Bürokratie, sicherlich ungewollt, aber hocheffektiv, die Gründerbestrebungen. Das größte Problem daran: Wir sind gezwungen, unbotmäßig viel Zeit und Aufwand auf die Bürokratie aufzuwenden. Diese geht vom Fokus auf das Unternehmerische ab, auch der Gründer-Tag hat schließlich nur 24 Stunden. 

Die bisherigen Bürokratieentlastungsgesetze sollten zwar alle eine Verbesserung bringen. Jedoch kamen diese bei Startups nur rudimentär an. Hier wäre Nachbesserung sehr wünschenswert.

Eine vereinfachte Steuersituation

Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern

Quelle Benjamin Franklin, Gründervater der USA

Unternehmen müssen Steuern zahlen – das ist für die meisten von uns, die keine radikalkapitalistischen Ansichten hegen, ein notwendiger Automatismus. Um als Staat zu existieren, benötigt Deutschland schlicht entsprechende Mittel. 

Allerdings endet an diesem Punkt das wohlmeinende Verständnis vieler Gründer. Das Problem resultiert hier vor allem aus einer Tatsache heraus: Es gibt in Deutschland keinerlei Erleichterungen für Startups, die nicht generell für alle Unternehmen beschlossen würden. Die einzige echte Hilfe ist die spezielle Einkommenssteuersituation im ersten Jahr der Selbstständigkeit – indem das Finanzamt jenen Angaben vertraut, die der Gründer über den zu erwartenden Gewinn gemacht hat.

Dabei gäbe es viele Ansätze zur Verbesserung. Etwa:

  • Höhere Spielräume innerhalb der Kleinunternehmerregelung. Hier könnten die 17.500 Euro des Vorjahres bzw. 50.000 Euro des laufenden Jahres durchaus ebenso nach oben angehoben werden wie der Grundfreibetrag von derzeit nur gut 9.000 Euro.
  • Generell keine unternehmerischen Steuern im ersten Jahr der Gründung.
  • Attraktivere Besteuerung für alle potenziellen Geldgeber – an dieser Stelle sei an das von sehr vielen mit Empörung aufgenommene (und glücklicherweise ad acta gelegte) „Anti-Angel-Gesetz“ verwiesen. 
  • Keine Begrenzung der Verlustverrechnung für einen bestimmten Zeitraum. Alternativ zumindest ein größerer Spielraum.
  • Grundsätzlich wesentlich vereinfachte Besteuerung von jungen Unternehmen. Auch was das Bürokratische (Stichworte Anlagen und Mantelbögen) anbelangt.

Sicherlich wird jeder von uns noch weitere Wünsche haben. Das Problem: Sie alle sind sehr wahrscheinlich unerfüllbar.

Selbst wenn die Bundesregierung hier Vereinfachungen einführen wollte, sie dürfte es nicht. An diesem Punkt berührt das bundesdeutsche Steuerrecht das EU-Beihilferecht. Das wiederum untersagt eine derartige Ungleichbehandlung außerhalb von Ausnahmeregelungen – wie etwa wegen der aktuellen Krise. Sehr umfangreiche Informationen auch zu diesem Thema liefert ein Whitepaper der Deutschen Börse.

Allerdings: Gerade hier böte sich deshalb die vielleicht perfekte Möglichkeit, Europa wirklich zu leben, indem ein EU-weit einheitliches Startup-Ökosystem mit Steuererleichterungen geschaffen wird. 

Eine generell verbessere Gründerkultur bereits ab der Schulbank

Deutschland ist seit jeher ein Land der KMUs. Diese Tatsache zieht sich zurück bis zu Nikolaus Otto, Rudolf Diesel und zahlreichen weitere Menschen, auf denen Deutschlands Ruf als Techniknation fußt. Und sie gilt bis zum heutigen Tag. KMUs sind die wichtigsten Arbeitgeber, erwirtschaften die meisten Steuergelder, stellen eine ellenlange Liste an Hidden Champions. Sie sind im besten Sinne Deutschlands „wirtschaftliches Rückgrat“.

Das Problem: Ungleich zu vielen anderen Ländern, vor allem den USA, hat Deutschland es nie wirklich verstanden, diese Tatsache anzuerkennen. In Deutschland galt bis in allerjüngster Zeit, als es etwas besser wurde, nicht der Gründer als leuchtendes Beispiel, sondern der Bankdirektor, der Industriemagnat, der Vorstandschef. 

Diese Tatsache mag wie ein unwichtiges Detail wirken, sie ist jedoch sehr viel größer. Bei vielen jungen Menschen kommt der Gedanke an Gründer erst, wenn sie schon weit in ihrer schulischen Laufbahn fortgeschritten sind. Ihnen wurde nie wirklich beigebracht, dass es nur Mut und eine gute Idee braucht, um höchsterfolgreich zu sein – keine riesige Firma mit hunderten Angestellten.  

Auch hier obliegt es nach wie vor den Gründern selbst, durch Eigeninitiative abzuhelfen – wie es die gemeinnützige Stiftungs-GmbH Rock it Biz vormacht, die an Schulen Nachhilfe in Sachen Unternehmertum gibt. Auch hier wäre es wünschenswert, dass der Staat mehr tut. Es wäre in jedem Fall eine Investition in die Zukunft.

Stock.adobe.com Gerhard Seybert

Zusammenfassung

Es gibt viele Gründer, die aufgrund persönlicher Erfahrungen sehr laut über Deutschlands Regierungen schimpfen. Und noch mehr dürften zumindest vieles mit Verständnislosigkeit betrachten, was ihnen hierzulande auferlegt oder abverlangt wird. Mit bösem Willen hat das, ungleich zu dem, was manche den Regierenden vorwerfen, sicher nichts zu tun. Viel eher damit, dass es selbst in den Führungsspitzen von Bund und Ländern noch nicht ganz klar ist, wie wichtig Startups vor allem für die wirtschaftliche Zukunft sind. Wir sind kein schmückendes Beiwerk für Politiker, sondern die einzigen, die ob ihrer Größe beweglich genug sind, die ständig wechselnden Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen. In anderen Ländern wurde das rechtzeitig verstanden; hoffentlich bald auch hierzulande. 

Autor: Marianne Schwarz

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder

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