Freitag, März 29, 2024
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Die deutsche Gründerszene braucht mehr Frauen-Power

Lea Lange ist Gründerin und Managing Director von Juniqe. Sie hat in München und an der Universität St. Gallen studiert und den Master of International Management an der ESADE Business School in Barcelona absolviert. Danach arbeitete sie bei Ernst & Young und Roland Berger, im November 2013 gründete sie Juniqe, die Lifestylemarke für kuratierte und bezahlbare Kunst. Senior Investment Managerin Chiara Sommer hält für den High-Tech Gründerfonds (HTGF) in Berlin die Stellung. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Gründerin eines Online-Beratungs-Startups hat umfassende Erfahrungen im Bereich Marketing, Produktentwicklung, Business Development, Sales, Fundraising und Corporate Finance. Ihre primären Investitionsfelder sind Marktplätze, Apps, SaaS und Fintech. Sie ist darüber hinaus bestens in der Berliner Start-up Szene vernetzt.

Im Interview mit StartupValley.news sprechen Lange und Sommer über die deutsche Gründerszene, Work-Life-Balance und die Notwendigkeit von mehr Frauen-Power in der Tech-Branche.

Liebe Frau Lange, liebe Frau Sommer, was war in Ihrem beruflichen Werdegang bislang die größte Herausforderung – und was, oder wer, hat Ihnen dabei geholfen, diese zu meistern?
Lange: Die größte Herausforderung waren ganz klar die ersten ein bis zwei Jahre von Juniqe. Am Anfang stehst du nur mit einer Idee und einem Pitchdeck da und versucht erstes Geld einzusammeln. Immer wieder musst du Mitarbeiter, Kooperationspartner und Investoren überzeugen und begeistern. Es gibt viele Herausforderungen zu Beginn, aber sobald man die ersten guten Zahlen vorweisen kann, wird es natürlich einfacher. Uns hat es immer geholfen, mit Absagen und negativem Feedback konstruktiv umzugehen und daraus zu lernen. Wenn man das schafft, dann kann Kritik genutzt werden, um sich selbst und sein Business Model zu verbessern.

Sommer: Vor der Zeit beim High-Tech Gründerfonds (HTGF) hatte ich ein Startup, das nicht so erfolgreich war wie Juniqe (lacht). Das war sehr schwierig für mich, weil ich vorher in Schule, Uni und Job immer sehr gut war – doch plötzlich erlebte ich Rückschläge. Eine weitere Herausforderung war es sicherlich auch, sich als Investorin in einer männerdominierten Welt durchzusetzen. Geholfen hat da, sich mit Leuten auszutauschen, die ähnliche Herausforderungen hatten und haben. Unter anderem konnte mich da meine Kollegin Romy Schnelle als Mentorin unterstützen.

Wie lange arbeiten Juniqe und der HTGF bereits zusammen? Was haben Sie bislang gemeinsam erreicht – und was soll in Zukunft noch folgen?
Lange: Der HTGF hat in der Seedrunde vor etwas mehr als drei Jahren investiert. Damals waren wir noch ganz am Anfang: eine Handvoll Mitarbeiter, ein kleines Büro, die ersten Zahlen. Chiara Sommer und der HTGF haben an uns geglaubt und teilten von Beginn an unsere Vision, den Markt für bezahlbare Kunst zu revolutionieren. Heute sind wir ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern, wir liefern in 13 europäische Länder und haben mehr als 20 Millionen Euro Funding eingesammelt. Chiara hat uns bei allem immer unterstützt, auch bei den kniffeligeren Fragen, die sich auf so einer Reise ergeben. Wir sind aber immer noch erst am Anfang und auch in den kommenden Jahren haben wir einiges zusammen vor.

Sommer: Juniqe hat einen besonderen Stellenwert für mich. Es war mein erstes Investment beim HTGF. Was uns damals u.a. überzeugt hat, war die Teamkonstellation und der Speed, den sie an den Tag gelegt haben. Die Entwicklung seitdem ist beachtlich: Es gab mehrere erfolgreiche Finanzierungsrunden, wobei einige der Investoren auch über unser Netzwerk kamen, aber hauptsächlich über die tolle Traktion von Juniqe. Was mich heute auch freut, ist, wie international das Unternehmen geworden ist. Selbst Freunde von mir aus Tel Aviv sprechen mich auf Juniqe an.

Lange: Um das noch zu ergänzen: Für uns waren die Umzüge in ein neues Büro immer Meilensteine: ein neues, größeres Büro bedeutet Wachstum. Es stellt sich eine gewisse Aufbruchstimmung und damit oftmals eine neue Dynamik ein.

Bis 1918 durften Frauen nicht wählen, bis 1958 ohne Erlaubnis des Vaters oder Mannes nicht den Führerschein machen, vor 1962 kein eigenes Konto eröffnen und noch 1977 konnte der Ehemann ihnen die Ausübung eines Berufes untersagen. Was ist Frauen noch heute verwehrt?
Lange: Theoretisch und auf dem Papier sehr wenig. Trotzdem ist es bekannt, dass Gründerinnen immer noch eine Ausnahme sind: nur 15 Prozent der Technologieunternehmen haben im Gründerteam überhaupt eine Frau. Da fragt man sich natürlich, warum das so ist. Ich denke das hat viele Gründe, aber einer ist sicherlich, dass es an weiblichen Vorbildern fehlt. Frauen sind oft risikoaverser und trauen sich weniger zu als ihre männlichen Kollegen.

Sommer: Es stimmt natürlich, dass uns Frauen vom Gesetz her nichts mehr verwehrt wird. Aber weil die angesprochenen gesetzlichen Restriktionen nicht so lange her sind, ist Frauen heute noch der Zugang in bestimmte Kreise verwehrt. Ihnen wird weniger zugetraut als Männern, was wiederum zum „Glass Ceiling Phänomen“ führt: qualifizierte Frauen kommen kaum in die Top-Positionen in Unternehmen, sondern bleiben spätestens auf der Ebene des mittleren Managements „hängen“. Auf manchen Vorstandsetagen gibt es ja nicht mal eine Frauentoilette.

Die Schranken im Kopf gibt es, im Gegensatz zu den Gesetzen, immer noch: Es sind die Schranken im eigenen Kopf, die Schranken im Kopf der Chefs, der Kollegen, der Kolleginnen. Der Weg zur beruflichen Gleichberechtigung von Frauen ist also sehr stark durch Befangenheiten und Vorurteile geprägt: Weil Frauen in Führungsrollen unterbesetzt sind, wird daraus geschlossen, dass es so ist, weil Frauen nicht die Kompetenz haben, was wiederum dazu führt, dass Frauen nicht in diese Positionen kommen – ein Teufelskreis!

Work-Life-Balance, New Work, Homeoffice: Sind das die Angebote, die Frauen brauchen, um am Berufsleben gleichberechtigt teilhaben zu können?
Lange: Natürlich klingt das alles schön und gut und es ist auch wirklich wichtig, dass sich Unternehmen damit beschäftigen. Aber es geht vielmehr darum, wie flexible Arbeit gelebt wird und wie fest diese Angebote in der Unternehmenskultur verankert sind. Ist es wirklich okay und ganz normal, wenn die Mutter Homeoffice macht? Es bringt natürlich niemandem etwas, wenn diese Angebote nur als „Marketingzwecke“ dienen.

Sommer: Das stimmt. Wir haben hier in Deutschland eigentlich schon ein gutes System, besser als beispielsweise die USA, aber die Prozesse werden noch nicht gut genug angenommen.

Lange: Die Angebote müssen in Anspruch genommen werden, nur das schafft Akzeptanz! Vor allem Frauen und Männern in Führungspositionen kommt hier eine besondere Vorbildfunktion zu. Besonders als weibliche Führungskraft ist man immer auch ein Vorbild, dessen muss man sich bewusst sein.

Wann wird es Feminismus in der Debatte um Berufstätigkeit und Ausgestaltung von Arbeit nicht mehr geben (müssen)?
Lange: Das ist eine gute Frage. Das erste, was mir auffällt, ist, dass Feminismus oft recht negativ behaftet ist. Warum eigentlich? Wenn Männer und Frauen, Chefs und Kollegen Gleichberechtigung nicht leben und sie so nie zur Normalität wird – dann ist jedes Gleichberechtigungspapier nichtig. In diesem Punkt sind wir noch am Anfang.

Sommer: Ich bin wirklich nicht für eine Frauenquote, aber es ist schon interessant, dass man aus der Soziologie weiß, dass sich Minderheiten immer so lange schwertun, bis ein bestimmter Schwellenwert erreicht wird. Häufig wird dieser auf etwa 40 Prozent beziffert. Erst ab diesem Anteil werden „die anderen“ nicht mehr als Außenseiter und Fremdkörper wahrgenommen, sondern als Teil des Ganzen. Vielleicht braucht es also einfach die „Masse“.

Wo muss die berufliche Förderung von Frauen ansetzen – im Kindergarten, in der Schule/Hochschule oder erst im Berufsleben?
Sommer: Im Kindergarten. Also dort, wo das Thema der Geschlechterrollen und der kulturellen Konzepte anfängt. Die unterschiedlichen Standards von Verhalten, die für Geschlechter gesetzt werden, müssen früh in die richtige Richtung hin geprägt werden. Geschlechterbilder im Erwachsenenalter zu verändern, ist sehr schwer.

Lange: Das glaube ich auch. Kinder werden schon früh in bestimmte Rollenbilder gedrängt. Das fängt schon damit an, dass Mädchen mit Puppen spielen sollen. Eine Stärkung von Frauen und Mädchen muss also sehr früh passieren.

Ist also zum Beispiel der „Girls‘ Day“ da eine gute Maßnahme?
Lange: Genau. Es braucht Angebote, die die Frage „Was braucht jeder, der im Beruf erfolgreich sein will?“ beantworten. Wie bringen wir, also Eltern und Lehrer, den Kindern, egal ob Mädchen oder Jungen, bei wie das geht?

Der Anteil der Gründerinnen in Deutschland liegt gerade einmal bei 15 Prozent. Was braucht es, um diesen Anteil zu erhöhen?
Lange: Ganz entscheidend sind meiner Meinung nach mehr weibliche Vorbilder, die ihre Erfahrung teilen und anderen Frauen zeigen “du kannst das auch“. Frauen, die Identifikationspotenzial und Inspiration bieten und andere Frauen ermutigen. Es gibt immer wieder viele Konferenzen, auf deren Bühnen männliche Gründer stehen – ich sehe das und denke: „Wir brauchen mehr Frauen, die auf diesen Bühnen stehen“. Auch im Kosmos Unternehmen sollten sich Gründerinnen ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Hier bei Juniqe gibt es zum Beispiel mehr Frauen als Männer und ich weiß, dass ich für einige von ihnen eine Vorbildfunktion erfülle. Also muss ich diese Verantwortung annehmen und ihr gerecht werden.

Sommer: Davon abgesehen hat Deutschland ganz allgemein zu wenig Gründer. Egal, ob männlich oder weiblich. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Zum einen die Vorbildfunktion, die Lea angesprochen hat. In Amerika sind beispielsweise Gründer wie Mark Zuckerberg Superstars, hier leider noch nicht. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Kultur des Scheiterns: Es ist hierzulande eine große Herausforderung mal ein Risiko einzugehen, gerade für Frauen. Das kann man mit Gesetzen (wie eine Erneuerung des Insolvenzrechts) erleichtern, aber es geht eher um kulturelle Fragen, die wir vorhin angesprochen hatten. Auch Schulen und Lehrer sind hier also gefragt.

Was machen Gründerinnen eigentlich anders als ihre männlichen Kollegen?
Lange: Viele weibliche Gründerinnen verstehen sicherlich das Thema Führung etwas anders als ihre männlichen Kollegen. Mir sind zum Beispiel Einfühlungsvermögen, Empathie und Führung auf Augenhöhe wichtig. Trotzdem bin ich ein großer Verfechter von gemischten Gründerteams. Wir sind damals ja auch zu dritt gestartet: eine Frau, zwei Männer. Das ist sicherlich einer unserer Erfolgsfaktoren, wir ergänzen uns sehr gut.

Sommer: Eine Pauschalisierung ist immer schwierig. Man kann Tendenzen aber vielleicht an der Biologie festmachen: Männer mit mehr Testosteron vs. Frauen mit mehr Östrogen, sprich bei Männern höheres Risikoverhalten und Wettbewerbsdrang und bei Frauen mehr Empathie und Sozialkompetenz. Allgemein achten Frauen daher vielleicht mehr auf soziale Verträglichkeit und haben weniger falsches Ego.

Haben wir neben einem Geschlechter- auch ein Altersproblem? Gibt es genug junge Leute mit guten Ideen und genügend Förderung dieser „Young Talents“?
Lange: Die Gründerszene an sich ist in der Tendenz ja relativ jung, daher sehe ich das nicht unbedingt so. Es gibt auf jeden Fall junge Leute mit Ideen. Ich kenne Leute, die direkt nach der Uni gegründet haben, was ich damals nie gemacht hätte. Wissen und Erfahrung sind wichtige Kompetenzen beim Gründen – trotzdem sollte man möglichst früh ansetzen und das Gründertum als Idee und Zukunftsplan bereits in der Schule und den Universitäten etablieren, um es jungen Menschen nahebringen. „Startup Teens“ ist darum aus meiner Sicht eine Initiative, die absolut richtig ansetzt.

Wie wichtig ist eine, in jeder Beziehung, offene Gesellschaft für eine gute Startup-Kultur?
Lange: Viele Startups sind ja bekanntlich in Berlin angesiedelt. Im Mikrokosmos der Hauptstadt ist das ganze Startup-Thema ein Gesellschaftsthema, da ist ein guter Rahmen gegeben. Selbst klassische Wirtschaftszweige, wie die Banken und Immobilienbranche, haben sich total auf Startups eingestellt und arbeiten gut mit ihnen zusammen. Du findest zum Beispiel ein tolles Büro, auch wenn ein Unternehmen, was schon viel länger am Markt ist daran interessiert ist. Der Mikrokosmos Berlin ist also ein gutes Beispiel für den positiven Einfluss einer offenen Gesellschaft auf die Startup-Kultur. Mit den Erfolgsgeschichten der Startups kommt dann auch immer mehr Akzeptanz und Offenheit.

Sommer: Ganz klar. Eine offene Gesellschaft ist total wichtig. Das sieht man ja auch an den Erfolgsgeschichten aus den USA. Man muss sich da mal anschauen, wie viele der Gründer aus Einwandererfamilien stammen. Gesellschaft muss verschiedene Menschen und auch Fehler dieser akzeptieren, dann legt sie ein gutes Fundament für Gründer.

Liebe Frau Sommer, liebe Frau Lange, vielen Dank für dieses interessante Gespräch!

Aussagen des Autors und des Interviewpartners geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion und des Verlags wieder.

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